Bella sah erschrocken zu den Bäumen hinüber und wusste nicht,
was sie darauf sagen sollte. Natürlich wollte sie ihren Freundinnen, die sie
schon seit dem fünften Schuljahr kannte, Edward, ihren Liebsten, nicht
vorenthalten. Aber sie hatte schon so viele unschuldige Menschen in Gefahr
gebracht. Da waren Charlie und Reneé, die sie liebte, die alle nach wie vor
durch eine dunkle Macht bedroht wurden. Diese Macht hatte zwar noch keinen
Namen, war aber trotzdem immer präsent.
„Wir könnten doch heute ein Essen für das frisch verheiratete
Paar zubereiten“, schlug Savannah vor und Drew stimmte freudig ein.
„Ich weiß nicht…“, zierte sich Bella unsicher.
„Ach komm schon, erinnerst du dich nicht, wie schön es früher
war? Wir haben zusammen Pizza bestellt und gemeinsam von unserer Zukunft
geträumt“, sagte Savannah und schwelgte in der Vergangenheit, in der sie noch
Teenager waren und über alles kicherten, was mit Jungs zu tun hatte.
Bella konnte sich die Zeit kaum ins Gedächtnis rufen. Sie war
nur noch ein verschwommenes Bild, so weit weg, wie alles andere aus ihrem
früheren Leben. Aber wenn sie es jetzt zuließ, dass die neunzehn Jahre, die nicht
nur schlecht waren, aus ihrem Gedächtnis verschwanden, und sie keinerlei Bezug
zu ihrer Vergangenheit hatte, würde sie dann nicht irgendwann auch die schönen
Momente vergessen?
„Edward freut sich bestimmt euch kennenzulernen“, sagte Bella
schließlich und überlegte sich schon eine Strategie, wie sie ihren Mann zu
einem Essen überreden konnte, ohne dass sie dabei wirklich aßen. „Dann also bis
heute Abend.“
Zum Abschied umarmte Bella ihre Freundinnen. Auch Savannah
drückte Bella an sich und war froh, dass sie alle drei wieder vereint waren.
Bella stand unsicher vor dem Spiegel. Aus ihrem riesigen Kleiderschrank,
den sie scherzhaft und nur vor Edward Kleiderkammer nannte, hatte sie schon
zehn verschiedene Outfits anprobiert. Nichts passte wirklich zusammen. Ohne
Alice war sie in Sachen Klamotten aufgeschmissen.
„Du siehst in Allem bezaubernd aus“, bemerkte Edward, der in
einer dunkelblauen Jeans und einem weißen Hemd auf dem Bett lag und mit Renesmeé
spielte.
„Ist deine Mama nicht die wunderschönste Mama der Welt?“
Renesmeé lächelte sanft und legte ihrem Vater die Hand auf die
Wange. Edward sah in der Erinnerung seiner Tochter, wie liebreizend seine Frau
in den Augen ihres Kindes wirkte und hauchte seiner Kleinen einen Luftkuss zu.
Renesmeé fing ihn auf und gluckste glücklich vor sich hin.
„Bei dir wirkt es immer so mühelos. Du greifst etwas aus dem
Schrank, ziehst es an und du siehst aus, als hätte Armani es dir
höchstpersönlich auf den Leib geschneidert“, sagte Bella und verzog neidisch
die Lippen zu einem Schmollmund.
„Wir sind schon spät dran“, erinnerte Edward Bella und tippte
ungeduldig auf die Uhr.
„Du kannst ja Renesmeé zu Rosalie bringen“, sagte Bella, die ihr
schwarzes Kleid von Chanel kritisch betrachtete. Noch bevor sie den Satz
ausgesprochen hatte, war das Zimmer leer und sie allein. Ihr Blick fiel auf
einen bestickten weißen Rock und einen schwarzen Kaschmirpullover, der eben noch
nicht da gewesen war. „Danke“, sagte sie und wusste, dass Alice es auch von
weitem hören konnte.
Es klingelte an der Tür und Bella, die Edwards Sinn für Romantik
schon ganz gut kannte, wusste genau was er vorhatte. Sie ging zur Tür und obwohl
sie nun nicht mehr mit ihrem menschlichen Gleichgewichtssinn zu kämpfen hatte,
stolperte sie über ihre eigenen Füße.
„Alice hat es mit den Zehn-Zentimeter-Absätzen etwas
übertrieben“, dachte sie und strich sich noch einmal über den Pullover und den
knielangen Rock, denn sie wollte für ihren Ehemann perfekt aussehen.
„Wer ist da?“, fragte sie, obwohl sie genau wusste wer sich
hinter der Tür befand.
„Hier ist Edward Cullen“, sagte Edward und Bella vernahm ein
leises Kichern in seiner Stimme.
Sie öffnete die Tür und Edward hielt ihr einen riesigen
Blumenstrauß entgegen. Es waren ihre Lieblingsblumen: wilde Mohnblumen.
„Wir hatten nie eine zweite Verabredung. Es ging alles so
schnell“, sagte er und lächelte so charmant, dass Bella lieber zu Hause bleiben
wollte und sie sich in Gedanken schon auf dem Weg in ihr Schlafzimmer befand.
„Nein, Bella. Wir werden jetzt zum Haus deiner Freundinnen gehen, weil sie uns
ein schmackhaftes Essen zubereitetet haben.“
„Aber wir essen es doch sowieso nicht.“
Mit Edwards neuem, nachtblauem Ferrari fuhren sie die mit Bäumen
gesäumte Hauptstraße von Forks entlang. Der Motor knurrte so bedrohlich, dass
Bella dachte, Jakob lief in Wolfsgestalt hinter ihnen her, weil etwas passiert
war. Aber als sie merkte wie zufrieden ihr Mann am Steuer saß, entspannte sie
sich endlich und schmiegte sich in den weichen Ledersitz.
„Erinnerst du dich an das Lied, das damals im Radio lief, als
sich unsere Hände fast berührten?“, fragte Edward und sah Bella herausfordernd
an.
„Edward! Du weißt genau, dass ich mich nicht mehr an alles aus
dieser Zeit erinnern kann“, ermahnte sie ihn und wusste natürlich genau, dass
damals „Run“ von Snow Patrol im Radio lief. Weil sie ihm die Freude lassen
wollte, stellte sie sich unwissend und wartete nur darauf, dass die ersten Töne
durch die Boxen der Lautsprecher summten. Und tatsächlich. Die weichen Härchen
auf ihren Armen stellten sich auf, als das Lied anfing.
„Ich habe gar nicht gewusst, dass man als Vampir Gänsehaut
bekommen kann“, sagte Bella und gab ihrem Mann einen langen Kuss. Sie wusste,
dass er auch ohne auf die Straße zu schauen, alles wahrnahm, was da draußen vor
sich ging. Obwohl sie seinen Schutz nun wirklich nicht mehr brauchte, liebe sie
es trotzdem, dass er ihr das Gefühl der vollkommenen Sicherheit gab.
„Übrigens danke, dass ich dich nicht erst überreden musste. Ich
weiß, wie ungern du auf dem Präsentierteller liegst. Aber meinen Freundinnen
lag so viel daran, dich kennenzulernen“, sagte sie und konnte nicht damit
aufhören, ihre Lippen auf seine zu pressen.
„Gern geschehen. Du weißt doch, dass ich alles für dich tue.
Auch wenn ein Abend alleine mit drei Frauen hart an der Grenze ist“, sagte er
lächelnd.
Mit geschlossenen Augen brachte Edward das Auto direkt vor dem kleinen
Haus von Savannah und Drew zum stehen. Eine Weile saßen sie noch wild
knutschend im Wagen und konnten die Hände einfach nicht voneinander lassen.
„Edward Cullen, du bist fast hundert Jahre alt und benimmst dich
noch immer wie ein Teenager“, ermahnte ihn Bella streng und fing im gleichem
Moment an zu kichern.
„Du hast doch angefangen“, lachte Edward und leckte sich
genüsslich über die Lippen, als hätte er gerade etwas unwiderstehlich Süßes
geschmeckt.
Bella stieg aus dem Auto und wischte sich den verschmierten
Lippenstift aus dem Gesicht. Dann widerholte sie dieselbe Prozedur bei Edward.
„Himbeerrot steht dir wirklich nicht“, rümpfte sie die Nase und nahm ihn bei
der Hand.